Freiburg, den 19. September
2003
Zum Artikel vom 27.08.2003:
„Nicht mehr nackt“ in der BZ
Bezüglich des Artikels „Nicht mehr nackt“ in der BZ vom 27.08.2003
möchten wir Folgendes ergänzend darstellen. Das Holbeinpferdchen besitzt
sicherlich eine gravierende soziale Funktion in der Form, als dass sich Menschen
durch dessen Präsenz geneigt fühlen, sich an ihm gestalterisch zu
betätigen. Soweit scheint es auch bei BELUS und MALOU gekommen zu sein.
Menschen, die sich offensichtlich provoziert oder in sonstiger Form davon berührt
fühlen, wollen oder müssen die Form dieser Arbeit für sich „vereinnahmen“,
in dem sie an ihr tätig werden. Während unlängst BELUS und MALOU
mit dessousartigen Linien sexualisierend „geschönt“ wurden,
sind sie nun gänzlich verhüllt (warum nicht auch ihre Gesichter, weiß
ich nicht).
Was erstaunt, ist, dass es offenbar für Teile der Bevölkerung weniger
wichtig zu sein scheint, von den Künstlern den Inhaltsgehalt der Arbeit
direkt zu erfahren: Actio – Reactio. Man sieht etwas (ob es verstanden
wurde, ist eine andere Frage) und reagiert auf das, was man zu sehen meint.
Man gibt sich den Inhalt also selbst und macht beispielsweise die Aussage, dass
da eine gemarterte Frauengestalt (MALOU) „hinge“. Hätten wir
Urheber wirklich im Sinne geführt, eine gemarterte, gefolterte oder wie
auch immer gedemütigte weibliche Figur zu erschaffen, sähe sie gewiss
so nicht aus. In der Kunst, respektive in der Bildhauerei, gehört das Konzipieren
eines Arrangements zu einer der künstlerischen Grundlagen. Bei MALOU war
u.a. die Frage wichtig, wie man den Eindruck des Schwebens (oder des Frei- und
Losgelöstseins) erzeugt. Aus der Erfahrung unserer Alltagsphysik aber wissen
wir, dass ein Gegenstand unter natürlichen Bedingungen immer senkrecht
zum Erdmittelpunkt hin fällt. So entstand allmählich die Idee der
(fast) graphischen Horizontalen (welche die Betonmasse praktisch hält)
in Bezug zur eleganten, delphingleichen Bewegung, welche dieser Figur inne ist,
um sie, wie schon gesagt, frei, bewegt und dynamisch erscheinen zu lassen. Wäre
unsere Absicht gewesen, den Eindruck des Aufgespiesstseins zu vermitteln, hätten
wir uns um eine andere formale Lösung bemüht. Wundränder (durch
Schnitte oder Stiche verursacht) werfen sich nach außen auf und erscheinen
daher kraterförmig. Die Stangen, welche nichts als horizontale Linien ausdrücken
wollen, sind hingegen glatt in die Formoberfläche MALOU’s eingefügt.
Mit viel Liebe und Sorgfalt, sei hier nebenbei erwähnt. Wenn ich schon
dabei bin: auch BELUS’ Arm ist nicht abgehackt und letztlich angekettet.
Bei dieser Form genügte ein torsohaftes Fragment um erstens – bezüglich
seines rechten „Armes“ – die Form aufzulösen und zweitens
die gesamte Betonlast sicher zu fixieren.
Und zum Thema: „VIER Brüste“ (=frauenfeindlich?) noch ein letztes
Wort ohne besondere Hineindeuteleien und Neointerpretationsversuche. Unter anderem
muss ich mein täglich Brot als Aktzeichenlehrer verdienen (weil BELUS und
MALOU ja leider nicht verkauft sind). Da passiert es meist, dass TeilnehmerInnen,
die die weibl. menschliche Figur modellieren, nicht schnell genug so etwas wie
„Brüste“ an ihren Torso pappen wollen (nach meiner jahrzehntelangen
Beobachtung sind Teilnehmerinnen hierbei meist um einiges schneller als ihre
männl. Kollegen). Als geduldiger Lehrer weise ich darauf hin, dass doch
zunächst der Hauptfluss innerhalb einer Form stimmen muss, große,
durchgehende Flächenverläufe also, bevor ich an die kleinen, sekundären
Formen gehen kann. Denn wollte ich umgekehrt vorgehen, müsste ich alles
der kleinen Form unterordnen und dies brächte mich in gewisse gestalterisch-handwerkliche
Schwierigkeiten. Also sage ich meist jovial, dass wenn wir es geschafft haben,
den Hauptfluss stimmig erstellt zu haben, es dann ziemlich egal ist, ob wir
zwei, vier, sechs oder mehr kleine Formen dem großen Ganzen hinzu addieren.
Dies haben wir u.a. bei BELUS und MALOU, teilweise sogar durch Körperabgüsse,
demonstriert und die Richtigkeit dieser These bestätigt. Die ungläubigen
unter unseren Kritikern lade ich an dieser Stelle zu einer 2-stündigen
Demonstration ein, wo Sie gerne selber Hand anlegen dürfen.
Dass es wegen dieser Figurengruppe
einen Gesprächsbedarf gab und sicherlich noch gibt, mag so sein. Vor einem
Jahr im September stellten wir uns der Öffentlichkeit. Viel wurde geredet
und erwogen. Merkwürdig daran war allerdings, dass wir, die Urheber, doch
sehr wenig an Redezeit hatten. Wer dabei war, mag sich erinnern: WAS an Wichtigem
und an diese Arbeit Heranführendes konnten wir da schon an Besonderem erläutern?
Einige brachten ihren Unmut zum Ausdruck, andere fanden, es sei eine „ruhige“
Arbeit, einer unserer innigsten Anhänger verglich das Werk gar mit Salvatore
Dali (ein herzliches Dankeschön nochmals für diesen würdigenden
und schmeichelnden Vergleich, Herr Brügel!).
Retrospektiv neige ich zu der Behauptung, dass es darum ging „Das Ding
muss weg!“, wobei nicht klar war (und mir bis heute noch nicht), wer eine
solch starke Lobby besitzt, dies durchzusetzen. Uns gegenüber schwieg man
sich aus. Deshalb, so folgern wir, war kaum jemand WIRKLICH daran interessiert
zu erfahren, was sich die Künstler bei ihrem Werk dachten. Vielleicht sollten
wir im Grunde darüber froh sein, denn nichts ist entwürdigender oder
sogar peinlich, wenn ein Künstler seine eigene Arbeit interpretieren soll.
Denn das wesentliche bei der künstlerischen Arbeit entsteht während
des konkreten Schaffens. Nach der Vollendung ist es GETAN und ein Nächstes
beginnt.
Bei allen kontroversen Auffassungen setzen BELUS und MALOU immerhin gestalterische Energien frei. In dem Punkt sei ein Vergleich mit dem Holbeinpferd erlaubt. Deshalb sind wir der Auffassung, dass – siehe oben – diese Arbeit nicht lediglich ihre innere Richtigkeit demonstriert, sondern zudem einen besonderen soziokulturellen Auftrag erfüllt. Danke auch an dieser Stelle für den Mut des Bürgervereins Unter- und Mittelwiehre, ein Kunstwerk zu lancieren, das nicht unbedingt auf den sogenannten „breiten Publikumsgeschmack“ abzielt, sondern redlichen künstlerischen Inhalt transportiert.
Dieter E. Klumpp und Lubor
Kurzweil