Flüchtige Gedanken | von
Manuela Kalt, Oktober 2004 |
Jeder beliebige Inhalt lässt
sich auf verschiedenste Weise oberflächlich streifen, näher beleuchten
oder tief durchdringen. Ausschlaggebend für die jeweilige Herangehensweise
ist letztlich ausschließlich das uns leitende Interesse.
Je weiter das Thema greift, umso vielfältiger sind die Möglichkeiten
der Auseinandersetzung. Dies trifft in besonderem Maße auf den Begriff
des Bewusstseins zu.
Die wenigsten von uns mögen spezielle neurophysiologische Kenntnisse über
das menschliche Gehirn besitzen. Viel wahrscheinlicher ist dagegen eine vage
Vorstellung von dessen Organisationsform und Beschaffenheit.
Die Hirnforschung favorisiert seit einigen Jahren den Materialismus. Dieser
besagt, dass es keinen autonomen Geist gibt, unser Denken, Fühlen und Wollen
ist folglich nur Ergebnis der Tätigkeit unseres Gehirns. Damit kommt die
Naturwissenschaft zu anderen Schlüssen als die Geisteswissenschaft. Die
Philosophen erklären uns mehrheitlich, Bewusstsein sei ein geistiger/mentaler
Zustand und entziehe sich somit grundsätzlich einer naturwissenschaftlichen
Betrachtung. Aus dieser Sicht ist Bewusstsein eine Befindlichkeit, die ein Individuum
haben kann, und die Wahrnehmen, Erkennen, Vorstellen, Erinnern, Denken, Handeln,
Fühlen beinhaltet.
Über jegliche wissenschaftliche
Sichtweise hinaus entwirft die Kunst ihre eigenen Bilder von den Dingen. Sie
nimmt gerade die vage Vorstellung als Anlass zur Auseinandersetzung, durchdringt
auf ihre eigene Art und setzt sich über bestehende Ansichten hinweg, was
gleichermaßen Privileg wie Verpflichtung ist. Der Möglichkeit frei
zu assoziieren folgt die Fähigkeit, nicht Fassbarem eine Form zu geben.
Ausgehend von diesem Gedanken beschreibt der Künstler Dieter E. Klumpp
seine Umsetzung als eine von vielen möglichen, keinesfalls aber als beliebige.
Die Zeichnungen und Objekte sind inspiriert von Überlegungen zum Phänomen
Bewusstsein. Dabei befasst sich die Arbeit vor allem mit der Frage nach dessen
Beschaffenheit. Gezeigt wird eine ästhetische Annäherung an Ideen
über Gedankenmaterial und materialisierte Gedankenwege - und die daraus
folgende Möglichkeit der Darstellung.
Leitend ist dabei die Vorstellung von Bewusstseinsebenen und Geflecht in Assoziation
zu Schaltkreisen. Der Künstler bezieht verschiedenste Aspekte der vielschichtigen
Qualitäten des Bewusstseins ein: einerseits die Produktivität mit
der Möglichkeit zur unendlichen Erweiterung, also die potentielle Unbegrenztheit
der Kapazität. Andererseits die simultanen Abläufe der Verarbeitung:
Speicherung und Bewahrung von Vergangenem, Bewältigung von Gegenwart und
Gedanken, die in die Zukunft weisen. All dies unterliegt zusätzlich Färbungen
und Überlagerungen durch Stimmungen und Gefühle, was ein Spektrum
von tiefster Verwirrung bis größter Klarheit bietet.
Die Objekte beschreiben ein Bild eines Netzwerkes, das sich ohne Zentrale, nur
durch das Zusammenspiel der einzelnen Teile selbst organisiert.
Doch wie wird Gegenläufiges und Widersprüchliches, Verwirrendes und
Klares, Wichtiges und Unwichtiges in Einklang gebracht? Inhaltlich zusammenhängende
Ereignisse sind benachbart abgelegt – dennoch: Wie dicht mag manch Profanes
neben dem Sakralen landen? Wohin verschwinden die Gedanken, wenn sie gedacht
sind? Wo lagern sich die Resultate ab?
Die Vorstellung von verschiedenen Ebenen als Plattformen für Gedanken,
Basis für Denkprozesse in unterschiedlicher Qualität, spiegelt sich
in der Verwendung der verschiedenen Materialien. Transparente Plattformen weichen
zeitweilig stabilen Stahl-, Holz- oder Hartfaserplatten mit tiefen Einfräsungen.
Das Drahtgeflecht ist Metapher für Leitfähigkeit und Ausdruck für
Transport von Informationen. Es durchdringt die Platten, ist von Energiebahnen
durchzogen und geeignet für Denkbewegungen in jedwede Richtung. Wenn die
Gedanken Kreise ziehen und an Enden andocken, die ins Leere weisen, können
neue Verbindungen entstehen. Wo viel gedacht wird, kommt es zu Verdichtungen.
In seiner Arbeit an den Objekten dringt der Künstler immer tiefer in die
Vielschichtigkeit ein: Das Geflecht von Kanälen und Synapsen wird verzweigter,
die Verschachtelungen und Vernetzungen werden komplexer. Gleichzeitig bleiben
die Objekte durchlässig und in jede Richtung erweiterbar, sie sind nach
allen Seiten offen, auch für Veränderungen.
Im Verlauf finden sich Spuren des Gebrauchs, die Gedankenarbeit führt zu
Verfeinerungen, Erfahrungen schlagen sich in Einprägungen nieder.
Objekt Nr.1 erinnert an eine tabula rasa, unbenutzt und unbearbeitet.
In Objekt Nr. 7 tauchen erstmals Gedankenschnipsel auf, in Objekt Nr. 8 reichern
sich Alltagsworte an. Zuletzt erscheinen Notizen auf den Bewusstseinsebenen.
Dabei ist Zeit in mehrfacher Weise impliziert: einerseits erkennbar in der gesamten
Reihe, die Veränderung erfährt, andererseits in jedem einzelnen Objekt,
das im Sinne einer Momentaufnahme auf den nächsten Augenblick verweist
und somit schon Vergangenheit beschreibt.
Bezugspunkt der Arbeit sind die Geheimen
Botschaften für eine geheime Person.
Eine zentrale Fragestellung bezieht sich auf die Auswirkung von Botschaften.
Jegliche Kommunikation, auch die non- und paraverbale, ist Austausch von Signalen,
die auf das Bewusstsein einwirken. Was also geschieht, wenn wir kommunizieren,
in unserem Bewusstsein? Was erscheint relevant genug, um es zu notieren? Was
halten wir fest?
Oft sind die flüchtigen Gedanken die wichtigen. Gerade sie wollen entgleiten
und entziehen sich, und es bedarf nicht geringer Anstrengung, sie festzuhalten.
Und wo lagern wir sie ab, um sie bei Bedarf zu besehen? Was ist zu tun, wenn
sie tief abgesunken und dem direkten Zugriff entzogen sind?
Ab Objekt Nr. 9 tauchen auf den transparenten Ebenen Zeichen auf, die in der
Vergangenheit festgeschrieben wurden. Möglicherweise wichtige, doch verschlüsselte
Notizen.
Haben wir Zugang zu jeglicher? Wie können wir selbst entziffern, was wir
zu einem früheren Zeitpunkt aufgezeichnet haben? Sind sämtliche Notizen
umso schwerer rekonstruierbar, je länger sie zurückliegen?
Manches Festgeschriebene mag selbst für den nicht lesbar sein, der es einst
schrieb. Mit der Zeit verändert sich die Perspektive, die Notiz erscheint
in einem anderen Licht, sie wird ergänzt, mit neuen Inhalten gefüllt,
oder völlig anders interpretiert. Nähere Betrachtung führt eventuell
zu neuen Ergebnissen.
Der Künstler Dieter E. Klumpp
hat in seiner Arbeit die Faszination eingefangen, die das Phänomen Bewusstsein
begleitet.
Es birgt Arkana und verweigert sich ebenso wie manch geheimes Zeichen einer
vollständigen Entschlüsselung. Festzuhalten bleibt eine Botschaft,
die der Philosoph Aristoteles uns zukommen lässt: Das Ganze ist mehr als
die Summe seiner Teile.