Geliebte Leichtgläubigkeit | von
Manuela Kalt, August 2004 |
In unseren Zeiten der
„Informationsverarbeitung“ genügt uns ein Code, eine Abfolge
von I und 0, um Inhalte zu transportieren.
Immer bemüht um kurzgefasste Eindeutigkeit ziehen wir Information. Mit
höchster Geschwindigkeit entschlüsseln wir ständig Systeme von
konventionell vereinbarten Zeichen – sprich „Texten“.
Rasend schnell haben wir solch einen Text überflogen und meinen, dessen
Inhalt erfasst zu haben.
Die Falle stellen wir uns selbst, indem wir nur das „herauslesen“,
was uns bekannt erscheint; verliebt in die Worte, die Sicherheit versprechen.
Worte sind konventionell vereinbarte
Minisysteme.
Nur einer uns bekannten Buchstabenkombination können wir Sinn entnehmen.
Doch selbst sie übermittelt nur scheinbar eindeutige Inhalte.
„Konnotation“ nennt man die emotional eingefärbten Assoziationen,
die jeder einzelne dem Inhalt hinzufügt, also das, was „mitschwingt“
im Wort, individuell ganz unterschiedlich.
In vollem Umfang zu erfassen, was der andere uns mitteilen will, ist ein nahezu
unmögliches Unterfangen. Und oft genug opfern wir das vielschichtige Verstehen
leichtfertig dem schnellen Rückgriff auf unseren eigenen Wissenspool. Wir
interpretieren innerhalb unserer eigenen Beschränkungen ohne mit der Wimper
zu zucken. Wohl wissend, dass nichts ist, was es scheint.
Was folgt, ist unsanftes Erwachen, wenn wir wiedereinmal dem geschriebenen Wort
und seinen Bedeutungen aufgesessen sind. Täuschung allenthalben, nicht
nur im Kleingedruckten.
Die „geheimen Botschaften für
eine geheime Person“ auf den Stahlplatten stehen dem entgegen.
Auch ihre Zeichen sind Träger von Information.
Da uns aber der Schlüssel zu diesem System fehlt, können wir sie nicht
„lesen“.
Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinn.
Wie schön, dass Ästhetik (gr. Aeisthesis) Wahrnehmung bedeutet.
Denn die Ästhetik der fremdartigen Zeichen vermittelt uns den Eindruck,
es gäbe hier nur mit geschärften Sinnen etwas zu entdecken/wahrzunehmen.
Wir schreiten bedächtig über die Wege zwischen den Platten in der
Erwartung, innehaltend und betrachtend dem Zeichenhaften eine Bedeutung zu entlocken.
Wie trügerisch der vordergründige Sinn der „sinnlosen“
Symbolik. Die flüchtigen Notizen sind Notationen ohne konkreten Inhalt.
Das Mysterium der Zeichen, die mit Salz- und Schwefelsäure in den Stahl
geätzt sind, erschließt sich auf anderen Kanälen der Wahrnehmung.
Das Geheimnis, das sie in sich tragen ist ihre Bedeutung; nur zu erspüren
und nur individuell zu interpretieren.
Die Information befindet sich auf einer anderen Ebene.
So brauchen wir tatsächlich dringend geschärfte Sinne, um unsere Sehnsucht
nach Eindeutigkeit zurückzulassen und stattdessen Wege zu beschreiten,
die durch die Ungewissheit der Botschaften entstehen.
Die Botschaften, die sich einer Entschlüsselung und somit auch einer Entzauberung
widersetzen, eröffnen den Raum für eigene Assoziationen, Gedanken
und Bilder.
Und in den Sphären dieser Gedankenflüge können wir sogar Leichtgläubigkeit
riskieren.
Manuela Kalt